von Marg(a)rete Döhler

geboren am 20. Oktober 1895 in Metz als Margarete Blankenagel. Sie war Diplom-Bibliotheks-Sekretärin und lebte in Minden, wo sie am 4. August 1974 starb.


eine unselbstständige Veröffentlichung aus

Der Ravensberger, Heimatkalender für das Ravensberger Land, Bielefeld, Jahrgang 16 von 1941


Hiller Bauernstühle

von Margrete Döhler

 

In dem Dorfe Hille bei Minden wird eine Stuhlwerkstatt betreiben, die auf sehr alter Tradition fußt, sich von Urahn auf den heutigen Besitzer vererbet hat und deren solide, gute Erzeugnisse weit in die Gegend hinaus wandern, bis nach Aachen, Berlin, Holstein sogar. Manches HJ-Heim, manches Gemeinschaftshaus in Westfalen hat seine Dutzende von Stühlen oder Hockern von Fritz Dröge in Hille bezogen. Diese materialgerecht verarbeitete Ware gibt einem Raum eine ganz bestimmte, ungezierte, schlichte Note, so dass es beinah unmöglich erscheint, dass irgendein oberflächlicher Kitsch oder modischer Plunder neben ihr das Feld behauptet. So könnten diese dörflichen Stühle in gewisser Weise erziehend auf den Geschmack wirken. Standfest, solide und doch dem Auge wohlgefällig, erinnern sie an die Handwerkszunft unserer Altvorderen.

Der alte Meister setzt die einzelnen Stuhlteile zusammen
Der alte Meister setzt die einzelnen Stuhlteile zusammen

Fritz Dröge ist sowohl Bauer als Stuhlmacher. Er selbst führt noch den Pflug durchs Land und die Sense über sein Wiesengelände im Hiller Moor. Am anderen Tage wieder laufen die Treibriemen an Drehbank und Bohrmaschine, die vielen Aufträge und Wünsche der Besteller befriedigen zu können. Sein junger Sohn hilft ihm dabei.

Die maschinenmäßige Ausrüstung der kleinen Werkstatt ist sehr bescheiden; denn die Handarbeit ist noch ausschlaggebend in diesem Betrieb. Im Hofe lagern die großen Eichenstämme. Zwei Jahre muss das Holz gehauen sein, ehe die Säge es zu „Bohlen“ zerschneidert (Bohlensäge). Aus den Bohlen werden die „Stollen“ geschnitten, die das Grundgerüst, die vier Stuhlbeine, ergeben. Die noch unfertigen, vierkantigen „Stollen“ werden mit dem „Abziehmesser“ geglättet und dann auf der „Drehbank“ gerundet, d. h. „abgedrechselt“.

Das Abdrechseln der Stollen auf der Drehbank
Das Abdrechseln der Stollen auf der Drehbank

Die Schweifung an den beiden Rückenstollen (Hauptstollen) ist schon im rohen Holze zu erkennen. Die „Bohrmaschine“ bohrt Löcher und Fugen in die Stollen, in die die „Sprossen“ (Rücken- und Fußsprossen) geschoben werden. Die Rückensprossen werden im Waschkessel gedämpft und wenn sie genügend erweicht sind, gebogen. Es werden Armsessel, Stühle, Hocker und Fußbänke in großen Mengen in dieser engen Werkstatt, neben dem ländlichen Kuhstall gelegen, hergestellt. Jede Großbauerntochter erhielt früher zwölf solcher Stühle als Mitgift, die Töchter der Klein- oder Kuhbauern sechs. Um den schönen „Spiegel“ (Maserung) des Eichenholzes zur Geltung zu bringen, werden die meisten Stühle nur geölt oder lackiert. Die Sitze werden aus Binsen oder Rohr geflochten.

Das Flechten der Binsensitze -  3 Fotos Spilker, Südhemmern b. Minden
Das Flechten der Binsensitze - 3 Fotos Spilker, Südhemmern b. Minden

Sehr hübsch ist es, dem alten Opa beim Flechten der Stuhlsitze zuzusehen. Er ist der Fachmann für die Verarbeitung der Binsen und weiß manches aus alten Zeiten darüber zu erzählen. Heute werden die Binsen im Großen und fertig getrocknet nach Gewicht verkauft. Früher wurden sie vom Stuhlmacher und seinem Sohn (dem heutigen alten Meister) in den umliegenden Teichen selbst geschnitten; der August war die Zeit der Binsenernte. Das war ein mühseliges, auf haltendes, ungesundes Geschäft. „Bis zu den Armen standen wir oft im Wasser“, erzählt der Alte, „die schweren Bündel der schon geschnittenen Binsenrohre hinter uns herziehend. Die Wegzehrung wurde mit ins Wasser genommen und dort verspeist. Von morgens 5 Uhr bis zur Dunkelheit arbeitete man in der Nässe, nachts schlief man irgendwo auf dem „Balken“. Das unter so viel Beschwernis gewonnen Flechtmaterial wurde dann zu Hause in Hocken auf dem Hofe aufgestellt und in der Sonne getrocknet. Gab es Regen zur Nacht, stand man auf, um es unter Dach zu bringen.“

Heute werden viele Sorten von Binsen verarbeitet, zum Teil werden sie weit her bezogen. Es gibt Weser-, Elbbinsen, Schlester, Holländer. Die Holländer sind die besten. Sie strömen einen feinen Honigduft aus, ergeben beim Verarbeiten den geringsten Abfall und haben die schönste Farbe. In der Färbung hat man die Auswahl zwischen gelb, grün, braun. Der Fachmann macht auch einen Unterschied zwischen Süß- und Salzwasserbinse. Die Süßwasserbinsen werden den anderen vorgezogen. Das Flechten der Sitze geschieht auf charakteristische und kunstvolle Weise. Durch besondere Führung der Flechte um das Stuhlholz entsteht eine formschöne Aufteilung des Sitzes, der doppelt geflochten und weich ausgepolstert wird.

 

Dieses schöne Handwerk fußt ebenso wie das des Mollenhauers in Kleinenbremen noch auf bäuerlicher Grundlage und auf alter Überlieferung und Familientradition. Hier wie dort hat es sich trotz schwerer, gerade diesen besonderen Zweigen urtümlicher Handwerkszunft abholden Zeiten erhalten und durchsetzt und sich sogar aus dörflicher Enge heraus durch die Gediegenheit seiner Leistung weite Gebiete des Absatzes erobert.