der Hiller Stuhl


ein Teil der Bauernmöbelkultur

Sitzen war früher ein Privileg des Adels, der Geistlichkeit und der Richter. Einzelstühle waren nur wenigen Menschen wie dem Hausherr/-frau oder den älteren Menschen als Sorgenstuhl vorbehalten. Das Gesinde saß auf Bänken. In den Städten war das Handwerk in Zünften organisiert. Im bäuerlichen Milieu durften Landhandwerker nur für den eigenen Bedarf arbeiten. Das änderte sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem Napoleon die Gewerbefreiheit einführte.

 

Auf dem Land waren die Stühle einfache Gebrauchsgegenstände, ungepolstert, einem starkem Verschleiß unterworfen und wirtschaftlich bedeutungslos. Genau betrachtet stellen sie aber einen interessanten Teil der Bauernmöbelkultur in unserem Heimatraum dar.

in der Region für die Dorfbewohner gebaut

Hergestellt wurden die Hiller Stühle zwischen Rahden und der Südseite des Wiehengebirges ab Mitte des 19. Jahrhunderts von Landwirten. Sie kannten das Handwerk durch das Drechseln von Spinnrädern und übten die Tätigkeit nur im Nebenerwerb und nur im Winter aus. Die Drechselbank wurde im Fußbetrieb, erst später durch Elektromotor angetrieben und stand in einer kleinen Werkstatt.

einfach, schlicht und stabil

Der Hiller Stuhl war wie der traditionelle norddeutsche Bauernstuhl ein Pfostenstuhl mit drei Streben rundum. Das machte die gedrechselten Handwerkermöbel stabiler als die eckigen und strebenreduzierten Fabrikstühle des letzten Jahrhunderts. Die Streben wurden stärker getrocknet als die Pfosten. Sie wurden in die Löcher gesteckt und quollen durch die Luftfeuchtigkeit auf. Die Bauernstühle wurden nicht geleimt oder genagelt. Durch diesen Trick gingen sie auch ohne Leim nie aus dem Leim.

 

Gewölbt, gerade, teilweise leicht verjüngend waren die Füße des Stuhls. Die Fußstrebe war mit dem Pfosten bündig oder für mehr Beinfreiheit in die Mitte zurückversetzt. Aus Binsen oder Stuhlflechtrohr wurde die Sitzfläche geflochten. Die Rückenlehne bestand aus drei senkrechten Sprossen und unterscheidet sich damit vom weit verbreiteten norddeutschen Bauernstuhl, der eine Rückenlehne mit drei oder vier Querbrettern hat.

Hiller Handwerker prägten das Bauernmöbel

Meistens gab es nur einen Stuhlhersteller in den Dörfern. Sie stellten den Bedarf vor Ort sicher.

 

Auf der Hiller Hofstätte Nr. 199 begann Carl Friedrich Dröge ab 1849 aus Eschenholz, deren Stämme zwei Jahre im Garten lagerten, Stühle zu bauen. In vierter Generation drechselte Friedrich Christian Dröge (1897 – 1971) bis in die 1960-er Jahre in der Werkstatt an der Eickhorster Straße (heute Kamindeele).

 

Friedrich Schekelmann stellte ab 1866 in Hille-Neuenbaum in zwei von einem Kanonenofen beheizten Arbeitsräumen die nach „schriousen Huse“ bekannten Stühle her. Sein Sohn Fritz wurde Tischlermeister und verrichtete bis nach dem zweiten Weltkrieg die kompletten Holzarbeiten. Bis in die 1990-er Jahre führte dessen Tochter Herta Flechtarbeiten aus und reparierte Sitzflächen.

 

Neben Ohlemeyer aus Hille-Holzhausen wurden auch in Hartum Haus–Nr. 28 Stühle dieser Art produziert. Heinrich Brockmeyer pflanzte dafür selbst Eschen an und sorgte für die gesamte Herstellung. Seine Frau war für die Stuhlflechtarbeiten zuständig. In eine Sitzfläche aus Binsen steckten bis zu acht Stunden Handarbeit.

trotz Stabilität und Vielfalt keine Zukunft

Weitere Drechslereibetriebe, die den Hiller Stuhl produzierten, befanden sich in Minden-Haddenhausen (Lübking), in Rahden (Rohlfing und Schrey), in Rahden-Tielge (Schlüter und Tiemann) und auf der Südseite des Wiehengebirges in Hüllhorst-Holsen (Brune).

 

Die Hiller Stühle waren schlicht und einfach, aber stabil. Die vielen örtlichen Landhandwerker schufen das bäuerliche Mobiliar in vielen Varianten: mit und ohne Armlehnen, mit mehr oder weniger gedrechselten Ornamenten, die Sitzfläche mit Stuhlflechtwerk oder Rattan im so genannten kleinen oder großen Karo.

 

Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gaben allerdings die meisten Drechsler letztendlich ihr Landhandwerk auf, so dass lange Zeit nur noch ein Drechsler (Schrey jun.) in Rahden die Herstellung der "Hiller Stühle" in alter handwerklicher Tradition fortsetzte, bis auch er zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Betrieb aufgab.

Diese Seite beruht auf Informationen von U. Gräler aus Siegen, die er am 25. März 2013 während der Veranstaltung "Geschichte und Herstellung des Hiller Stuhls" in der Alten Brennerei präsentierte.

 

Unser herzlicher Dank gebührt U. Gräler

für seine jahrelange, detaillierte Recherche.